Ist alles, was ich fühle, relevant? Der kleine, feine Unterschied
Kennst Du das – Du wachst morgens auf, und noch während Du noch im Dämmerzustand bist, strömen langsam aber sicher die altbekannten größeren und kleineren Sorgen in Dein Bewusstsein?
Dabei war gestern Abend alles so schön gewesen und Du hattest Dich mit einem Hochgefühl ins Bett gelegt, entschlossen, dem neuen Tag „positiv“ zu begegnen!
Also gesellt sich zu dem ohnehin schon unangenehmen Gefühl nun auch noch der Ärger über Dich selbst, schon wieder „abgekippt“ zu sein.
Fällt Dir etwas auf?
Ich zumindest merke eine eindeutige, in ihrer Ausschließlichkeit fast grausame Tendenz, immer absolutes Glücklichsein anstreben zu wollen, ja, vermeintlich zu müssen.
Wenn man nicht glücklich ist, stimmt was nicht mit einem.
Hierzu habe ich einige sehr unterschiedlich geartete Fragen:
- Ist es nicht in Ordnung, angesichts allem, was ständig auf der Welt geschieht, auch mal nicht manisch glücklich zu sein – auch, wenn man zu den Glücklichen gehört, die nicht in unmittelbarer Bedrohung leben?
- Was, wenn Dein Glück ganz anders aussieht als jenes, das gemeinhin als solches definiert wird? Ruhiger, entspannter, mit mehr Spielraum für verschiedene Empfindungen?
- Was, wenn Du jene Schwere, die nicht Dir gehört, leicht wieder ablegen kannst?
Zu meiner ersten Frage wird jeder anders denken – dass jedoch nicht das Paradies auf Erden herrscht, wird sicher jeder zugeben. Warum sonst gibt es Religionen, Spiritualität, Philosophie etc.? Dienen sie doch letztendlich dazu, mit „diesem Leben“ klarzukommen, sich einen Reim darauf zu machen, das Unangenehme, das Leid entweder zu erklären, in eine andere Perspektive zu rücken oder zu verringern. Die zentrale Frage für mich lautet: Wie gehe ich damit um, dass es Leid gibt? Ich strebe an, so ehrlich wie möglich zu leben und in meinen Begegnungen mit anderen den Raum für Glück zu eröffnen, so gut ich kann.
Das bringt mich zu meiner zweiten Frage: Was ist Glück für Dich persönlich, in dem Umfeld, auf das Du Einfluss hast? Wo findest Du Dich in dieser Gemengelage wieder?
Mein Glück besteht darin, durchaus Dinge wahrnehmen und fühlen, dann aber auch wieder in jene Raumigkeit umschalten zu können, die es mir erlaubt, weiter zu atmen und andere Möglichkeiten zu sehen. Dazu gehören auch Phasen, in denen ich mich bewusst der Melancholie, der Traurigkeit, der Trauer hingebe. Zeiten gönne, in denen ich mir nichts schönreden oder umdeuten muss, in denen ich meinen Gefühlen und manchmal auch den Tränen freien Lauf lasse. Spannenderweise sind diese Phasen umso schneller vorbei, je mehr ich mir selbst gegenüber freundlich bin und alles zulasse – häufig ist es eine Angelegenheit von wenigen Minuten.
Nur ein Verweilen in fremdem Leid, das man nicht lindern kann, zieht auf Dauer herunter und bringt niemandem etwas.
Wie aber erkenne ich, wann ich es mit meinen eigenen Gefühlen zu tun habe?
Als Faustregel kann ich sagen: Docken an die Gefühle altvertraute Gedankenschleifen an bzw. entspinnen sich im Nullkommanichts ganze Gedankenkonstrukte, je länger ich versuche, das Gefühl „loszuwerden“, handelt es sich eher um eine Energie von außen: Ich nehme sie wahr und versuche mir, einen Reim darauf zu machen, sie zu begründen, indem ich altbekannte Gedankenpfade ablaufe.
Ein Beispiel von heute morgen: „Die Woche beginnt. Oje, ich habe immer noch keinen neuen zusätzlichen Job gefunden. Ich bin ein Loser, ein Outcast, ein Schmarotzer, ich werde auch noch das Geld meiner Eltern um die Ecke bringen, ich war schon immer ein Versager…“ Nüchtern betrachtet könnte ich jeden einzelnen „Punkt“ widerlegen, doch das ist ja gerade die Krux, dass man in solchen Momenten nicht „nüchtern“ denkt. Sondern das Hirn „denkt“ alle passenden Assoziationen aus dem eigenen Erleben und Erfahrung zur wahrgenommenen Energie hinzu. Nach dem Motto „Ich fühle …, das muss daher kommen, dass ich … getan oder nicht getan habe, … bin oder nicht bin etc.“ Am Ende solcher Gedankenketten fühle ich mich noch schlechter und sehe keinen Ausweg. Dies ist das klarste Anzeichen davon, dass es sich um eine Energie von außen handelt, die ich nicht ändern kann, weil sie nicht meine ist.
Zusammengefasst – Gefühle, aus denen sich lange Gedankenketten entspinnen, die in die Hoffnungslosigkeit führen, sind in der Regel nicht meine.
Wodurch jedoch unterscheiden sich meine eigenen Gefühle?
Hier ein Beispiel aus meiner nicht so fernen Vergangenheit: In den letzten beiden Jahren, seitdem ich die letzte Überbleibende aus meiner Familie bin, ohne eine eigene gegründet zu haben, überkam mich besonders bei Reisen die Erkenntnis, derzeit keinen Menschen mehr auf der Welt zu haben, der auf meine Rückmeldung wartet. Empfand ich dieses „Meldenmüssen“ bislang auch als unangenehme Last, war die neue „Freiheit“ zunächst alles andere als erfreulich. Es war ein Gefühl des Alleinseins, das so tief ging, dass sich der Kopf gar nicht einschalten konnte, und sobald ich es (endlich!) nicht mehr unterdrückte, brach es sich Bahn und entlud sich, in diesem Fall in heilsamen Tränen.
Oder mich ärgert eine Situation, die ich mir zunächst noch schön zu reden versuche. Lasse ich dem Ärger jedoch freien Lauf, indem ich beispielsweise bewusst vor mich hinschimpfe und auch physisch die Anspannung rauslasse, tritt auf einmal Klarheit ein. Und danach fange vielleicht sogar an zu singen.
Der Unterschied von fremdem Leid, das wir wahrnehmen und erfolglos aufzulösen versuchen – unser Kopf läuft heiß und kommt doch zu keinem Schluss – und den eigenen Gefühlen, die sich entladen, wenn wir ihnen Raum geben, ist für mich eine lebensnotwendige Erkenntnis gewesen.
Wie geht es Dir?
Hast Du mit „lästigen Gefühlen“ zu kämpfen?
Was, wenn wir mit allem umgehen können, wenn wir nur bewusst rangehen? Ich wünsche Dir einen wundervollen, vielfältigen und bewussten Tag!